Über Keime sind viele Gerüchte im Umlauf. Manche von ihnen schüren Ängste, obwohl sie gar nicht stimmen. Wer Bescheid weiß, kann selbst dazu beitragen, dass Keime keinen Schaden anrichten.
Keime sind etwas ganz Natürliches, auch wenn wir sie nicht sehen können, weil sie so winzig sind. Es gibt sie in jedem menschlichen Körper, sie leben auf der Haut, in Schleimhäuten und im Darm.
Mediziner sprechen von „Keimflora“ oder „Standortflora“, um auszudrücken, dass die Keime zum Körper gehören wie Pflanzen zum Ökosystem. Die „Darmflora“ zum Beispiel bewohnen Billionen Kleinstlebewesen, die dabei helfen, Essen zu verdauen, Vitamine zu nutzen und Giftstoffe harmlos zu machen. Eine gute „Keimflora“ stärkt das Immunsystem und verhindert Krankheiten – Keime sind also nicht nur natürlich, sondern sie sind sogar wichtig für die Gesundheit des Menschen.
Gleichzeitig können Keime aber auch Schaden anrichten, wenn sie zur falschen Zeit am falschen Ort sind, etwa wenn sie in eine Wunde gelangen. Dann werden Keime zu „Krankheitserregern“ – so wie auch Pflanzen manchmal das Ökosystem durcheinander bringen, wenn sie mit dem Schiff in fremde Länder eingeschleppt werden.
Keime verbreiten sich auf mehr als einem Weg, es gibt aber eine Hauptstraße und die führt über unsere Hände. Nach Schätzungen der Deutschen Seniorenhilfe werden resistente Keime in neun von zehn Fällen über die Hände der Menschen übertragen.
Viele Bakterienstämme leben auf der Hautoberfläche, durch Hautkontakt übertragen wir sie auf andere Menschen. Wenn wir Hände schütteln oder halten, können wir unbeabsichtigt Keime auf Kranke, Angehörige, Zimmernachbarn, Besucher oder Klinikpersonal übertragen. Sie können aber auch den Umweg über Gegenstände nehmen, die wir anfassen, zum Beispiel Türklinken, Kugelschreiber oder Handys.
Deswegen spielen die Hände eine wichtige Rolle bei der Prävention. Wer sich korrekt die Hände desinfiziert, flutet gewissermaßen die Hauptstraße der Keime, sodass sie ertrinken, bevor sie sich verbreiten können. Für Pflegekräfte auf einer Intensivstation bedeutet das im Extremfall 100 Händedesinfektionen pro Patient und Tag. Als Besucher können Sie in nur einer Minute schon sehr viel zur Sicherheit beitragen: 30 Sekunden die Hände desinfizieren, bevor Sie die Patienten berühren, und nochmal 30 Sekunden die Hände desinfizieren, nachdem Sie sich verabschiedet haben.
Keime sind die Ureinwohner der Erde - bereits vor 3,5 Milliarden Jahren besiedelten sie in einfachsten Formen die brodelnde Ursuppe zwischen Feuer und Asche. Dass sie sich schon so lange erfolgreich auf unserem Planeten behaupten, hat maßgeblich mit ihrer Anpassungsfähigkeit und ihrer speziellen Fortpflanzung zu tun.
Keime vermehren sich durch Zellteilung. Aus einer Mutterzelle entstehen zwei identische Tochterzellen. Dieser Vorgang kann Stunden oder Tage dauern, läuft aber zumeist binnen weniger Minuten ab. So können Bakterien innerhalb von 24 Stunden so viele Generationen ausbilden wie der Mensch in 2000 Jahren.
Es gibt aber auch noch eine andere Facette der Überlebenskunst: Keime können in den unwirtlichsten Umgebungen überleben. Das älteste bekannte Lebewesen, der Keim bacillus permians, überwinterte 250 Millionen Jahre in einem Salzkristall. Andere Keime haben sich mit Schwefel, Arsen oder Radioaktivität arrangiert.
Wie Menschen und Tiere passen sich auch Keime an ihre Umwelt an. Im Laufe der Zeit bauen sie beispielsweise Abwehrstrategien gegen Medikamente wie Antibiotika auf. Untrainierte Keime sterben aus, trainierte überleben und vermehren sich.
Diesen natürlichen Auswahlprozess der Evolution haben wir Menschen unfreiwillig beschleunigt, indem wir Antibiotika massenhaft eingesetzt haben – nicht nur, um Menschen gesund zu machen, sondern auch um Tiere in der Landwirtschaft gegen Krankheiten und Seuchen zu schützen.
Das systematische Verfüttern von Medikamenten an Mastschweine, Puten und Hühner hat dazu geführt, dass sich resistente Keime bei diesen Tieren ausbilden. Die Ställe und Mastfarmen wirken gewissermaßen wie ein Trainingslager. Früher oder später gelangen auch diese resistenten Keime zu uns Menschen: als Fleisch, über das Grundwasser oder über gedüngtes Gemüse.
Weil Keime erstens unsichtbar und zweitens Teil des menschlichen Körpers sind, hat die Medizin einen Überwachungsapparat installiert, um die gefährlichen Keime aufzuspüren, die sich zwischen den harmlosen verstecken.
Risikopatienten werden auf bestimmte Keime überprüft, bevor sie ihr Krankenzimmer beziehen. Dazu gehören zum Beispiel Patienten aus Pflegeheimen oder Patienten mit chronischen Wunden. Die Abstriche, beispielsweise aus dem Nase-Rachen-Raum, werden im Labor überprüft. Wenn MRSA im Blut oder in der Hirnflüssigkeit nachgewiesen werden, schreiben die Hygienegesetze eine Meldung an die Gesundheitsämter vor. Ähnliches gilt für andere multiresistente Keime.
Die Kontrolle von multiresistenten Erregern geht aber noch weiter: Abkürzungen wie DART und KISS klingen ein wenig nach Spezialeinheiten und Geheimdienst, sie stehen aber für die Deutsche Antibiotikaresistenz-Strategie der Bundesregierung und das Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System, eine überregionale Datenzentrale zur Forschung und Kontrolle. Das RobertKoch-Institut in Berlin ist als nationale Einrichtung für Gesundheitsschutz und Gefahrenabwehr in allen Fragen zur Hygiene zuständig.
Um nicht aus Versehen beim Händeschütteln Keime zu verbreiten, verzichten erste Kliniken ganz offiziell auf diese Form der Begrüßung. Die Mitarbeiter sollen den Patienten und Besuchern und sich untereinander nicht mehr die Hand geben.
Dadurch wird der wichtigste Verkehrsweg für resistente Keime blockiert. Die Mitarbeiter sparen Zeit, weil sie sich nicht mehr so oft die Hände desinfizieren müssen. Denn im Durchschnitt dauert eine korrekte Handdesinfektion 30 Sekunden und außerdem muss sie vor vielen Behandlungsschritten wiederholt werden. Damit die Neuerung nicht zu abweisend und unfreundlich wirkt, lächeln die Ärzte und Pflegekräfte einfach zur Begrüßung.
Es gibt sogar die Forderung, das Händeschütteln in medizinischen Einrichtungen ganz zu verbieten. Bislang wird hier allerdings auf Freiwilligkeit gesetzt. Falls Ihnen also einmal ein Klinikmitarbeiter nicht die Hand gibt, wissen Sie, dass es gut gemeint ist.
Türklinken sind für Keime wie Umsteigebahnhöfe: Wer in der Klinik eine Klinke anfasst, ohne sich vorher korrekt die Hände zu desinfizieren, hinterlässt dort oft ungewollt Keime. Berührt nun jemand anders die Klinke, können die Keime auf ihn überspringen und sich weiter verbreiten.
Um das zu verhindern, gibt es neuerdings spezielle Türklinken, die zu mindestens 70 Prozent aus Kupfer bestehen. Schon die Mediziner zur Zeit der ägyptischen Pharaonen wussten, dass Kupfer auch desinfizierende Wirkung hat. Wie man aus ihm Türklinken macht, die Keime abtöten, hat die Wissenschaft allerdings erst kürzlich herausgefunden. Die ersten Tests in Hamburger Kliniken waren vielversprechend: Über die Hälfte der Keime wurde am Umsteigen gehindert.
7 Dinge über Keime, die Sie wissen sollten