16.12.2019

BWKG-INDIKATOR 2/2019 - Fachkräftemangel verschärft sich

Piepenburg: Personalmangel hat spürbare Auswirkungen auf Versorgung der Menschen im Land

„Die Schwierigkeiten, qualifiziertes Personal zu finden, werden immer größer und die Folgen für die Versorgung der Menschen im Land sind mittlerweile deutlich spürbar“, so der Vorstandsvorsitzende der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG), Detlef Piepenburg, zu zentralen Ergebnissen des BWKG-Indikators 2/2019. Geschäftsführer von 86,5 % der Krankenhäuser, 88,6 % der Reha-Kliniken und 85 % der Pflegeeinrichtungen sagen, dass es schwierig oder eher schwierig ist, Pflegefachkräfte zu finden. 69,3 % der Krankenhäuser und sogar 84,4 % der Reha-Kliniken haben Probleme, freie Stellen im Ärztlichen Dienst neu zu besetzen.

„Diese abstrakten Zahlen haben ganz konkrete Folgen: Fast 70 % der Allgemeinen Krankenhäuser haben in den vergangenen zwölf Monaten Betten oder Abteilungen wegen Personalmangel zeitweilig geschlossen“, so der BWKG-Vorstandsvorsitzende und Landrat des Kreises Heilbronn weiter. In fast zwei Dritteln dieser Krankenhäuser wurden dabei Betten in der Intensivstation geschlossen. Und häufig wurden diese Betten dann sogar länger als drei Tage im Monat gesperrt (67 %). Dass sogar Intensivbetten geschlossen werden müssten, sei auch auf die seit Jahresbeginn rechtlich verbindlichen Vorgaben von Personaluntergrenzen zurückzuführen. „Selbstverständlich werden im Notfall schwerkranke Patienten dennoch behandelt. Allerdings kann es sein, dass sie anschließend in ein weiter entferntes Krankenhaus verlegt werden müssen“, führt Piepenburg aus. Unverständlich sei nach wie vor, dass Krankenhäuser auch im Falle einer solchen „Nothilfe“ wegen Verstoß gegen die Personaluntergrenzen bestraft werden. „Das ist absurd und belastet in völlig ungerechtfertigter Weise die sowieso angespannte finanzielle Situation der Krankenhäuser“, so der BWKG-Vorstandsvorsitzende.

„Der Fachkräftemangel wirkt sich auch auf das Zusammenspiel von Krankenhäusern, Pflegeheimen und Reha-Kliniken aus“, so Piepenburg. So sei es häufig schwierig, für Krankenhauspatienten nach der Entlassung die passende Anschlussversorgung in der ambulanten oder stationären Pflege zu finden. Aufgrund von fehlendem Pflegepersonal können Pflegeplätze nicht belegt werden und Pflegeplätze für psychisch auffällige oder suchtkranke Patienten fehlten ganz generell. Die Krankenhäuser würden die oft hochbetagten Patienten in diesen Fällen so lange versorgen, bis die Anschlussversorgung sichergestellt sei. Diese Fälle werden dann nicht selten vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) ganz genau begutachtet. Häufig wird nach Aktenlage entschieden, dass der Patient theoretisch früher hätte entlassen werden können oder seine Behandlung im Krankenhaus gar nicht erforderlich war. Dann wird die Vergütung des Krankenhauses gekürzt oder sogar ganz gestrichen. Im MDK-Reformgesetz wurde nun sogar festgelegt, dass durch MDK-Prüfungen ausgelöste Rechnungsminderungen künftig auch noch eine Strafzahlung von mindestens 300 Euro zur Folge haben sollen. „Das ist absolut nicht gerechtfertigt und zutiefst ungerecht. Krankenhäuser, die die Patienten aus Fürsorge länger versorgen, dürfen dafür nicht auch noch bestraft werden. Die Strafzahlungen müssen sofort zurückgenommen werden, weil sie gegen eine zielführende Versorgung der Patienten gerichtet sind“, so Piepenburg weiter. Richtig wäre es vielmehr, wenn die Krankenhäuser statt einer Strafzahlung eine angemessene Vergütung dafür erhielten, dass sie die Patienten weiter versorgen, deren Entlassung nicht verantwortbar ist. Dass der Gesetzgeber hier handeln muss, hat ein aktuelles Urteil des Bundessozialgerichts vom 19.11.2019 ausdrücklich bestätigt. (Aktuelle Fallbeispiele stehen auf der Homepage der BWKG (www.bwkg.de) zum Download bereit.)

„Eigentlich sollte es mittlerweile einfacher sein, einen Pflegeplatz in einer Pflegeeinrichtung oder einem ambulanten Dienst zu finden. Denn mit dem Pflegepersonalstärkungsgesetz der Bundesregierung aus dem Jahr 2018 sollten bundesweit ja 13.000 neue Stellen geschaffen werden“, sagt Piepenburg. Der Faktencheck zeige allerdings, dass in den Pflegeeinrichtungen im Land bisher wenig davon angekommen ist. Im Rahmen des BWKG-Indikators haben nur 101 Geschäftsführer von Pflegeeinrichtungen angegeben, einen Antrag auf zusätzliches Pflegepersonal gestellt zu haben. Damit wurden insgesamt 130,5 neue Pflegestellen beantragt. 41,7 % der Anträge wurden bisher positiv beschieden und dadurch 63,7 Stellen geschaffen. Mindestens 50 % der Anträge warten immer noch auf die Bearbeitung - und das seit rund 3,6 Monaten. „Das kann nicht sein. Mein Fazit: Viel Aufwand und wenig Effekt“, so Piepenburg weiter. Die Gründe hierfür seien klar: Voraussetzung für einen Antrag ist, dass die zusätzlichen Pflegekräfte bereits gefunden sind und namentlich benannt werden können. Die Einrichtungen finden aber keine zusätzlichen Pflegekräfte und der bürokratische Aufwand und die lange Bearbeitungsdauer halten viele Pflegeeinrichtungen sogar davon ab, einen Antrag zu stellen. Das erkläre, warum 57 % angegeben haben, dass noch kein Antrag gestellt wurde.

Auch die Reha-Kliniken leiden unter dem Mangel an Fachkräften. Vor allem die Tatsache, dass sie nicht im Fokus der Politik stehen, wenn es um die Gewinnung oder Finanzierung von Pflegefachkräften geht, wirkt sich negativ aus. Dies zeigt sich an den extrem hohen Werten: Fast 90 % der Geschäftsführer von Reha-Kliniken haben im Rahmen des BWKG-Indikators angegeben, dass es für sie problematisch ist, Pflegefachkräfte zu gewinnen. „Völlig unverständlich ist, dass die Reha-Kliniken keine Pflegekräfte ausbilden dürfen“, kritisiert der BWKG-Vorstands­vorsitzende. Angesichts der Alterung der Gesellschaft müsse jede Möglichkeit genutzt werden, Pflegekräfte auszubilden. Dies gelte vor allem mit Blick auf die neue generalistische Pflegeausbildung, die ab 2020 eingeführt werde.

„Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, müssen verschiedene Maßnahmen schnell umgesetzt werden“, so Piepenburg. Ganz wichtig sei es, die Bürokratie abzubauen. Wenn Pflegekräfte und Ärzte immer weniger Zeit für ihre Patienten hätten, sei es kein Wunder, wenn sie weniger arbeiten oder sich ein anderes Betätigungsfeld suchen. „Außerdem müssen ausländische Fachkräfte schneller anerkannt werden und es muss mehr Flexibilität beim Personaleinsatz geben“, fordert der BWKG-Vorstandsvorsitzende. Starre Personalvorgaben und die Festlegung auf bestimmte berufliche Qualifikationen verhinderten einen modernen Personalmix. Es müsse möglich sein, die Aufgaben an diejenigen zu delegieren, die sie erfüllen können, auch wenn sie nicht die bislang dafür erforderliche formale Qualifikation hätten. Dies sei auch ohne Qualitätsverlust möglich. Weiter müsse es den Krankenhäusern ermöglicht werden, selbst Kurzzeitpflegeplätze anzubieten. So könne auch ein wichtiger Streitpunkt mit dem MDK ausgeräumt werden.

„Außerdem ist und bleibt es natürlich von zentraler Bedeutung, dass der finanzielle Rahmen stimmt“, so Piepenburg. Nach den Zahlen des BWKG-Indikators sei man aber nach wie vor extrem weit davon entfernt. 57 % der Krankenhäuser, 43 % der Reha-Kliniken und fast 30 % der Pflegeeinrichtungen im Land gehen aktuell davon aus, dass sie das Jahr 2019 mit roten Zahlen abschließen werden. „Unsere Forderung, dass die überdurchschnittlichen Kosten in Baden-Württemberg finanziert werden müssen, steht nach wie vor im Raum“, sagt Piepenburg. Es sei zwar mit Verbesserungen bei der Finanzierung der Pflege im Krankenhaus zu rechnen, da diese ab dem kommenden Jahr auf eine neue Finanzierungsgrundlage gestellt werde. Für andere Berufsgruppen und die Sachkosten seien aber keine Verbesserungen vorgesehen.

Wie sich der finanzielle Rahmen der Reha-Kliniken entwickeln werde, sei aktuell noch nicht klar. Im Entwurf zum Reha-Stärkungsgesetz (RISG) wurden viele Forderungen der Reha-Kliniken aufgegriffen. Die Reha-Kliniken begrüßen, dass die Vergütungen stärker von den erbrachten Leistungen und den tariflichen Personalkosten abhängen sollen. „Allerdings müssen in Baden-Württemberg auch die überdurchschnittlichen Löhne bezahlt werden, die es in einem Hochlohnland einfach gibt“, so der BWKG-Vorstandsvorsitzende weiter. Daher müsse es in den im Gesetz vorgesehenen Bundesvereinbarungen zur Vergütung unbedingt Öffnungsklauseln für regionale Besonderheiten geben.

„Ganz grundsätzlich lehnen wir es ab, dass in einer solchen Situation überlegt wird, weiteres Geld aus Baden-Württemberg in andere Bundesländer umzuverteilen“, sagt Piepenburg abschließend. Genau das drohe, wenn das aktuell im Gesetzgebungsverfahren befindliche „Fairer Kassenwettbewerb-Gesetz“ (GKV-FKG) unverändert verabschiedet werde. Durch die Einführung einer Regionalkomponente im Morbi-RSA drohe, dass im Land erwirtschaftete, aufgrund des hohen Lohnkostenniveaus besonders hohe Beitragseinnahmen noch stärker als bisher in andere Länder umverteilt würden. „Wenn eine Regionalkomponente bei der Verteilung der GKV-Einnahmen politisch gewollt ist, muss es auch eine Regionalkomponente bei der Vergütung der Krankenhäuser geben, damit das hohe Lohnniveau berücksichtigt werden kann.“

Bei der Umfrage zum BWKG-Indikator befragt die BWKG die Geschäftsführer der Mitgliedseinrichtungen (Krankenhäuser, Reha-Kliniken und Pflegeeinrichtungen in Baden-Württemberg) halbjährlich zu ihrer Einschätzung der wirtschaftlichen Situation und der Arbeitsmarktentwicklung. Das Ergebnis des BWKG-Indikators 2/2019 ist als Anlage beigefügt.

Ihre Ansprechpartnerin:
Annette Baumer
Referentin für Presse und Politik
baumer@bwkg.de, Tel.: 0711 25777-45