12.03.2018

Gemeinsame Pressemitteilung der KVBW und der BWKG: Mangel an Ärzten und Pflegekräften alarmierend

BWKG und KVBW fordern Bund und Land dringend zum Handeln auf

 

 

(Stuttgart) Der Mangel an Ärzten und Pflegekräften ist nach Überzeugung der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG) und der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) alarmierend. Das werde nicht ohne Folgen für die medizinische Versorgung im Land bleiben, wenn nicht schnell gehandelt wird.

 Der Vorstandsvorsitzende der BWKG, der Landrat des Kreises Heilbronn, Detlef Piepenburg, erklärt: „Eine gute Behandlung und Pflege in den Krankenhäusern ist nur mit einer ausreichenden Zahl an qualifiziertem und motiviertem Personal möglich. Nach einer aktuellen Umfrage der BWKG bei den Krankenhäusern sind aktuell bereits rund 400 Stellen bei den Ärzten und 1.200 Stellen bei den Pflegefachkräften unbesetzt. Diese Lücke hat direkte Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und wird zunehmend auch die Versorgung der Patienten beeinträchtigen.“

 Dr. Norbert Metke, Vorstandsvorsitzender der KVBW, zeichnet ein ähnliches Bild für die ambulante Versorgung. „In den nächsten Jahren erwarten wir, dass etwa 500 Hausarztpraxen nicht nachbesetzt werden können. Das sind rund sieben Prozent der Hausarztpraxen im Land. Niemand sollte glauben, dass das nur ein Problem des ländlichen Raumes ist. Längst schon ist der Ärztemangel auch in den Städten und Ballungsräumen angekommen.“ Sein Vorstandskollege Dr. Johannes Fechner erläutert: „Aktuell sind mehr als 1.360 Hausärzte älter als 65 Jahre. Das ist etwa jeder Sechste. Zwar steigt das Interesse an dem Beruf als Hausarzt, aber das reicht bei Weitem nicht aus, um die ausscheidenden Hausärzte zu ersetzen. Im Übrigen trifft das keineswegs nur die Hausärzte. Auch in einer Reihe von Facharztgruppen haben wir erhebliche Nachwuchsprobleme.“

 Die Vertreter von KVBW und BWKG sind sich einig, dass die Rahmenbedingungen für die ärztlichen und die pflegerischen Berufe von der Politik auf Bundes- und Landesebene schnell verbessert werden müssen. Ziel müsse dabei sein, die Attraktivität der Berufe zu steigern. Dies sei die zentrale Voraussetzung dafür, dass sich genügend junge Menschen für diese Berufe entscheiden können und wollen.

Für die Attraktivität der ärztlichen und pflegerischen Berufe ist nach der Überzeugung von KVBW und BWKG entscheidend, beispielsweise den dringend notwendigen Bürokratieabbau endlich anzugehen. Denn die Ärzte in den Praxen und Krankenhäusern verbringen genauso wie die Pflegekräfte einen stetig wachsenden Teil ihrer Arbeitszeit mit der Dokumentation. Diese Zeit fehlt ihnen für die Behandlung und Pflege der Patienten und führt zu einer sinkenden Arbeitszufriedenheit.

 Um die Arbeitsbedingungen zu verbessern und zusätzliches Personal zu gewinnen, ist auch die angemessene Finanzierung der Leistungen in der ambulanten und stationären Versorgung von zentraler Bedeutung. „Vor 25 Jahren hatte die Politik einen umfassenden Maßnahmenkatalog erarbeitet, um die Zahl der niedergelassenen Ärzte aus Kostengründen zu beschränken. Das betrifft die Niederlassungsmöglichkeiten, die Abrechnung, Verordnungen und vieles mehr. In dieser Denkweise agieren die verantwortlichen Politiker heute noch, obwohl wir von der damals gefühlten Überversorgung nun in der Unterversorgung angekommen sind“, sagte Metke. „Die Gesundheitsreformgesetze der vergangenen Jahre waren vor diesem Hintergrund Kostenbegrenzungsgesetze und damit Nullnummern. Sie haben uns nicht geholfen, eher noch mehr Steine in den Weg gelegt.“

 Baden-Württemberg ist wegen seiner wirtschaftlichen Stärke und seinem engen Arbeitsmarkt ein Hochlohnland. Überdurchschnittliche Löhne führen zu hohen Einnahmen bei den Krankenkassen, aber auch zu hohen Personalkosten: Eine Pflegekraft führt in Baden-Württemberg zu durchschnittlichen Kosten von 59.000 Euro, der Bundesdurchschnitt liegt bei 55.000 Euro. Im Vergleich mit manchen Bundesländern müssen die Kliniken in Baden-Württemberg sogar fast 10.000 Euro pro Pflegekraft mehr bezahlen. Die Mehrkosten belaufen sich im Land in Summe pro Jahr auf rund 220 Mio. Euro. Die Erlöse für die Klinik-Leistungen liegen aber unter dem Bundesdurchschnitt, weil das Lohnniveau bei der Krankenhausvergütung bislang gar nicht berücksichtigt werden kann. Das Gesetz hat hier eine Lücke. „Überdurchschnittliche Kosten und unterdurchschnittliche Erlöse – das muss beendet werden!“ fordert Piepenburg. Nur wenn marktgerechte Löhne auch finanziert werden, können Fachkräfte davon abgehalten werden, ins Ausland etwa in die Schweiz oder in andere Branchen abzuwandern. Und nur dann können die Krankenhäuser im Land auch dafür sorgen, dass sich die Arbeitsbedingungen so verbessern, dass beispielsweise mehr Teilzeit-Mitarbeiter ihre Arbeitszeit wieder aufstocken möchten.

 „Die Zahl der Studienplätze in der Humanmedizin muss bundesweit aufgestockt werden“, fordern Metke und Piepenburg. Hier sei Baden-Württemberg im Vergleich zu anderen Bundesländern zwar schon in Vorleistung gegangen, müsse aber noch nachlegen. „Bis heute gibt es noch nicht einmal an allen Hochschulen in Baden-Württemberg einen Lehrstuhl für Allgemeinmedizin“, unterstreicht Fechner. Handlungsbedarf gibt es auch bei der Pflegeausbildung: Für die neue „generalistische Pflegeausbildung“, die ab 2020 umgesetzt werden soll, fehlen noch viele Bestimmungen zu Inhalt, Finanzierung und Organisation. „Um diese Unsicherheiten zu beseitigen, muss die neue Bundesregierung schnell aktiv werden. Einen verlorenen Jahrgang in der Pflegeausbildung können wir uns nicht leisten“, so Piepenburg. „Dies muss auch vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung gesehen werden. Patienten werden immer älter und damit auch immer pflegeintensiver.“

„Seit Jahren haben wir eine Tendenz in den Krankenhäusern und den Arztpraxen, dass die Zahl der Ärzte in Teilzeittätigkeit stark zunimmt. Das bedeutet, dass wir weniger Arztzeit für die Versorgung zur Verfügung haben. Es ist mathematisch nicht sehr anspruchsvoll zu erkennen, dass es einen Saldo gibt, wenn die gleiche Zahl an Köpfen weniger arbeitet. Wenn wir das heutige Versorgungsniveau aufrechterhalten wollen, brauchen wir daher mehr Köpfe. Jetzt endlich haben sich die Verhandlungspartner des Koalitionsvertrages bewegt und den Mangel anerkannt, nachdem unsere Forderungen immer abgewiesen wurden. Wir können jetzt nur an das Land appellieren, dem auch Folge zu leisten. Auf alle Fälle hat die bisherige Weigerung der Politik fatale Folgen. Denn jetzt hinken wir Jahre hinterher. Selbst wenn die Politik schnell handeln würde, würde es 12-15 Jahre dauern, bis die ersten Ärzte daraus für die ambulante Versorgung zur Verfügung stünden“, unterstreicht Fechner. „Nach wie vor besteht die Politik darauf, dass die niedergelassenen Ärzte nur eine bestimmte Anzahl an Patienten jedes Quartal behandeln dürfen. Sie stellt Mittel für die Versorgung nur für eine begrenzte Zahl an Patienten zur Verfügung, also nicht für alle, die einen Arzt aufsuchen müssen oder wollen. Es ist schlichtweg absurd, dass wir auf der einen Seite einen Ärztemangel und deshalb zu wenige Termine für Patienten haben, auf der anderen Seite aber gesetzlich vorgegebene Beschränkungen bei den Behandlungen bestehen. So leisten Fachärzte etwa 16 Prozent der Behandlungen, ohne dafür eine Vergütung zu erhalten,“ legt KV-Chef Metke nach.

 Metke berichtet weiter, dass immer mehr junge Ärztinnen und Ärzte eine Tätigkeit als Angestellte bevorzugen und nur rund 30 Prozent eines Jahrgangs in die niedergelassene Tätigkeit gehen. „Das darf niemanden wundern. Wer sich nur einmal angeschaut hat, welchen Rahmenbedingungen in Form von Richtlinien die niedergelassenen Ärzte heute ausgesetzt sind, der kann nur mit dem Kopf schütteln. Richtlinien für Arznei- und Heilmittelverordnungen, Richtlinien für Qualitätssicherung, Richtlinien für Krankenhausbehandlungen, Richtlinien für alles. Daraus resultieren Prüfanträge, die geradezu in Prüforgien enden. Es gibt tausende Prüfanträge der Krankenkassen, die sie nach Vorgabe des Gesetzgebers stellen müssen, die nur wenige Euro zum Gegenstand haben, aber einen enormen Aufwand für die Krankenkassen und die Praxen darstellen. Und die letztlich vom Versicherten bezahlt werden. Wir fordern, endlich höhere realitätsbezogene Bagatellgrenzen einzuführen, aber passiert ist nichts. Die Liste ließe sich beliebig verlängern.“ Scharf verwahrt Metke sich gegen den Vorwand, die Ärzteschaft trage die Verantwortung für zu wenige Termine für die Patienten. „Wir empfinden es als eine absolute Zumutung, wenn die Politik über Jahre hinweg eine Regelung nach der anderen erlässt, um die Mittel zur Behandlung von Patienten zu begrenzen, und dann den Ärzten die Verantwortung für die Folgen der Rationierung gibt. Wer so mit den Beteiligten im Gesundheitswesen umgeht, der wird bei den Patienten auf immer weniger Gegenliebe stoßen.“

 Fechner verweist auf die Maßnahmen, die von Seiten der KVBW ergriffen werden, um die Versorgung aufrecht zu erhalten. „Ich nenne nur unser erfolgreiches Förderprogramm ‚Ziel und Zukunft‘, durch das wir bereits neue Ärzte ansiedeln konnten. Zusammen mit der Krankenhausgesellschaft und der Ärztekammer haben wir die Verbundweiterbildung zur strukturierten Weiterbildung von jungen Ärztinnen und Ärzten zu Allgemeinmedizinern organisiert und verbessert. Mit unserem Projekt DocDirekt gehen wir neue Wege, die telemedizinische Behandlung von Patienten zu erproben. Wir geben gemeinsam mit den Krankenkassen über 20 Millionen Euro aus, um die allgemein- und fachärztliche Weiterbildung in den Praxen niedergelassener Ärzte zu fördern. Wir wissen aus Untersuchungen, dass sich die Ärzte häufig dort niederlassen, wo sie ihre Weiterbildung absolviert haben. Aber klar ist, dass wir das Problem allein nicht lösen können.“

 Piepenburg verweist auf die Anstrengungen, die Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte in Baden-Württemberg gemeinsam unternehmen, um unter den gegebenen Rahmenbedingungen dem Fachkräftemangel zu begegnen. „Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte arbeiten eng zusammen, beispielsweise in den bereits 120 Notfallpraxen an den Krankenhäusern im Land, beim ambulanten Operieren, im Rahmen der belegärztlichen Versorgung und durch die Ermächtigung von Krankenhausärzten. Und wir sind gemeinsam dabei, das Entlassmanagement noch besser zu machen.“

 

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